Auf geht's zum Räuber Hotzenplotz!
© Badisches Landesmuseum, Foto: ARTIS - Uli Deck
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Wie erklärt sich der internationale Erfolg des Kinderbuches gleich nach seinem Erscheinen und bis heute?
Dr. Andrea Weinmann: Die Frage nach dem internationalen Erfolg vieler seiner Bücher hat sich Otfried Preußler auch gestellt. Die weltweite Akzeptanz seiner Bücher erklärte er sich damit, dass Kinder bis zu einem bestimmten Alter eine ‚quasi internationale Nation‘ seien, eine Gruppe also, die quer liegt zu nationalstaatlichen Zugehörigkeiten. Unabhängig von seiner Herkunft vollziehe jedes menschliche Individuum, jedes ‚Menschenkind‘, wie Preußler es nannte, nicht nur seine individuelle Entwicklung sondern durchlaufe auch sämtliche Phasen der ‚Gattung Mensch‘. Mit diesem Erklärungsansatz berief sich Preußler ausdrücklich auf Ernst Haeckels umstrittene ‚biogenetische Grundregel‘. Den Erfolg über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg kann man sich auch damit erklären, dass er mit seinen Texten junge Leserinnen und Leser dort abholt, wo sie stehen: am Beginn einer Entwicklung, die vom Einfachen zum Komplexen fortschreitet. Viele seiner Kinderbücher richten sich an Kinder auf einer frühen Stufe des Literaturerwerbs. Dieser Tatsache tragen sie Rechnung, indem sie auf erzählerische Experimente gänzlich verzichten und mit einer eher typisierenden Figurenzeichnung aufwarten, die von einer differenzierten psychologischen Handlungsmotivierung absieht.
Was fasziniert Kinder bis heute an der Figur des Räubers?
Dr. Weinmann: Wo die literarische Figur des Räubers nicht den gewalttätigen Gesetzesbrecher repräsentiert, sondern die wilden, unangepassten, unizivilisierten Anteile des gesellschaftlichen Außenseiters, findet sie die Sympathie der Kinder. Steckt nicht in jedem Kind solch ein Räuber? Mit Interesse verfolgen sie daher dessen Konflikt mit dem Gendarm, der die Gesellschaft der Erwachsenen verkörpert und die Anpassung an deren Werte und Normen verlangt. Als Verbündete des Räubers freuen sich Kinder mit ihm, solange es ihm gelingt, die staatlichen Autoritäten zu überlisten und sich ihrem Zugriff zu entziehen. Aber sie akzeptieren es auch, wenn am Schluss der Räuber seinen Platz in der Gesellschaft findet, etwa wenn er wie der Räuber Hotzenplotz das Wirtshaus „Zur Räuberhöhle im Wald“ eröffnet.
Inwiefern ist die Geschichte auch für heutige Kinder noch attraktiv?
Dr. Weinmann: „Räuber Hotzenplotz“ ist eine Geschichte, die von ihrer Komik lebt. Dabei überwiegt eine Grundform der Komik, die in jeder anderen Form von Komik vorausgesetzt wird. Diese Art der ‚freien Komik‘ (Dieter Heinrich) hat etwas mit überraschenden Verwandlungen und mit Kontrasteffekten zu tun, die beim plötzlichen Umschlag von etwas Vertrautem in etwas Überraschendes und wieder zurück entstehen, vorausgesetzt, der erste Kontext bleibt gegenwärtig. Ein Quell kindlicher Belustigung sind Verwandlungen wie die des Dackels Wasti in einen Krokodilhund, also in ein Krokodil, das bellt und eine Leine trägt wie ein Hund. Erheiternd wirkt auch das Lieblingsspiel von Kasperl und Seppel: Sie machen sich einen Spaß daraus, Namen zu verdrehen. Aus Räuber Hotzenplotz, diesem Kummdopf und Vindrieh, wird im Wortumdrehen Häuber Plotzenrotz und aus dem bösen Zauberer Petrosilius Zwackelmann wird Reprozilius Fackelspan. Nebenbei zeigt sich hier die befreiende Kraft des Lachens, mit der man der Angst etwas entgegensetzen kann.
Welche Rolle spielen die Illustrationen für den Erfolg des Buches?
Dr. Weinmann: Mit seinen Illustrationen ist F. J. Tripp eine kongeniale Umsetzung von Preußlers literarischen Figuren in ein anderes Medium gelungen. Seit bald sechs Jahrzehnten zieren sie die deutschen Buchausgaben von „Räuber Hotzenplotz“, ohne dass es der Verlag gewagt hätte, sie durch andere zu ersetzen. Das einzige Zugeständnis an die Sehgewohnheiten der jüngsten Generation ist die Colorierung, mit der der Verlag 2012 den Illustrator Mathias Weber beauftragte. Die ursprünglichen Illustrationen sind längst ins Bildgedächtnis von Generationen von Leserinnen und Lesern eingegangen und sind selbst schon zu Klassikern geworden.
Wie hat sich Kinderliteratur seit Preußler verändert?
Dr. Weinmann: Um 1970 vollzog sich im Gefolge der Modernisierung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft ein tiefgreifender kinderliterarischer Wandel, der von einem anderen Kindheitsbild seinen Anfang nahm und Konsequenzen für die Themen und Erzählformen der neuen Kinderliteratur hatte. Indem die Kinderliteratur nicht mehr nur die sonnigen und heiteren Seiten von Kindheit aufgreift, sondern auch die ernsten, ist sie insgesamt vielfältiger geworden. Preußler hat sich gegen die Modernisierung der Kinderliteratur gesträubt, die er wohl für eine vorübergehende Mode hielt. Das hat ihm seinerzeit viel, auch ungerechte, Kritik eingebracht. An die Stelle der anfänglichen Polarisierung ist die längst die Einsicht getreten, dass Kinder, nicht anders als Erwachsene, unterschiedliche Lesebedürfnisse haben, Bedürfnisse, die nicht nur, aber auch von Otfried Preußlers Kinderbüchern erfüllt werden.
Vielen Dank, Frau Dr. Weinmann für das Interview!
Dr. Andrea Weinmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität Frankfurt am Main. 2013 promovierte sie mit einer Arbeit über Kinderliteratur und Kinderliteraturgeschichtsschreibung in Deutschland seit 1945. In zahlreichen Lehrveranstaltungen und Publikationen beschäftigte sie sich intensiv mit Leben und Werk Otfried Preußlers.
Das Haus der Großmutter
© Badisches Landesmuseum, Foto: ARTIS - Uli Deck
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Kinder bei der Kaffeemühle
© Badisches Landesmuseum, Foto: ARTIS - Uli Deck
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Die Polizeistation
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Das Haus der Großmutter
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Museumsraum: Otfried Preußler und der Räuber Hotzenplotz
© Badisches Landesmuseum